Sven Kmetsch im Interview mit dem Fanmagazin SCHALKE UNSER

Das spendenfinanzierte Magazin findet man im Internet unter www.schalke-unser.de

 

SIEHSSE, HÖRSSE, MEINSSE?! Das SCHALKE UNSER-Interview

Schalke statt Dortmund

 

Zwischen 1998 und 2005 hielt Sven Kmetsch für den S04 die Knochen hin. Dabei hätte es Ende der 1990er Jahre ganz anders kommen können. Neben dem FC Schalke interessierte sich nämlich auch ein Team aus Lüdenscheid-Nord für den gebürtigen Bautzener. Heute trainiert er den SV Lippramsdorf in der Bezirksliga. 

 

SCHALKE UNSER:

Schaut man auf deine Karriere, dann fallen auch Verletzungen auf. Unter anderem in der Liste: Karriereende mit Knorpelschaden und vorübergehendes Erblinden auf einem Auge. Wie geht’s dir heute?


SVEN KMETSCH:

Allgemein ist alles in Ordnung. Trotzdem fordert die Karriere ihren Tribut. Aufgrund der diversen Verletzungen spüre ich viele Körperteile deutlich mehr als andere Menschen in meinem Alter. Ich kann selbst sportlich nichts mehr machen. Ich würde gerne Fußball spielen, aber das geht nicht. Ich musste mich leider vor Jahren von der Idee verabschieden, mal bei einer Alte-Herren-Mannschaft zu spielen. Die Schmerzen sind zu groß. Vorübergehend blind auf einem Auge ist aber ein bisschen übertrieben. Das war bei einem Hallenturnier während meiner Zeit beim HSV. Ich bin in einen Ellenbogen hineingefallen. Damals war die Diagnose, dass die Netzhaut kurz vor der Ablösung stand und es eine Einblutung ins Auge gab. Das war kurz vor knapp. Jetzt habe ich Folgeschäden. Ich muss mittlerweile eine Brille tragen – wohl auch deshalb.

 

SCHALKE UNSER:

Neben den Verletzungen gab es in deiner Karriere aber auch große Erfolge: zwei DFB-Pokalsiege und eine Fast-Meisterschaft …

 

SVEN KMETSCH:

… und den UI-Cup-Sieg. Ich bin dankbar für eine solche Karriere. Natürlich stelle ich mir aber auch die Frage, was ohne die Verletzungen möglich gewesen wäre. Vielleicht wäre ich Spieler der Nationalmannschaft geblieben. Dann hätte ich eventuell bei der WM 1998 in Frankreich mitgespielt. Vielleicht wäre die Karriere dann auch noch ins Ausland gegangen. Ich bin aber trotzdem für das Erlebte dankbar. Der Meistertitel wäre die Krönung gewesen. Aber immerhin habe ich in Dresden einen DDR-Meistertitel erlebt. 

 

SCHALKE UNSER:

Du hast lange bei Dynamo Dresden gespielt. Viele Spieler der Ex-DDR-Clubs sind ja nach der Wende schnell zu zahlungskräftigen Vereinen in den alten Bundesländern gewechselt; du aber bist bis 1995 in Dresden geblieben. Damals verlor man die Lizenz und es folgte der Zwangsabstieg. Gab es dann keine Option mehr für dich zu bleiben?

 

SVEN KMETSCH:

Es gab Optionen. Ich hatte dort ja auch alle Jugendmannschaften durchlaufen. Ich habe auch große Erfolge erlebt. Etwa, dass wir uns für die Bundesliga qualifizieren konnten. Die Stars kannten wir ja nur aus dem West-Fernsehen, das wir illegal geguckt haben. Dann haben wir uns trotz Punktabzug in der Liga gehalten. 

Es kam dann aber eine Anfrage aus Hamburg. Mein ehemaliger Trainer und Kollege Benno Möhlmann holte mich. Ich dachte mir, dass es eine solche Chance nie mehr geben würde. Das konnte ich schlecht auslassen. Der Abschied von meinem Herzensverein Dynamo war aber hart.

 

SCHALKE UNSER:

1998 ging es dann für dich weiter zum FC Schalke. Klingelte irgendwann das Telefon und Rudi Assauer war dran?

 

SVEN KMETSCH:

Ja, so in der Art war es wirklich. In Hamburg hatte ich mich etabliert. Da scheine ich öfter ganz ordentlich den Ball getroffen zu haben und wurde in die Nationalmannschaft eingeladen. Mein Berater Jürgen Milewski wurde dann von Schalke kontaktiert. Ich hatte aber auch ein, zwei andere interessante Angebote. Eins aus der verbotenen Stadt war auch dabei. Mir ging es nicht in erster Linie ums Geld, aber es hat natürlich immer eine gewisse Rolle gespielt. Schalke war UEFA-Cup-Sieger, die anderen hatten die Champions League gewonnen. Als Fußballer war der internationale Fußball natürlich auch damals schon ein begehrtes Ziel, auch wenn wir mit dem HSV bereits im UEFA-Cup mitgespielt hatten.

 

SCHALKE UNSER:

Wie fiel dann die Entscheidung?

 

SVEN KMETSCH:

Ich hatte ein Gespräch mit Rudi Assauer und Huub Stevens in Rudis Büro. Er qualmte die ganze Zeit Zigarre. Man sah kaum etwas. Das Gespräch war sehr gut. Als ich zurück nach Hamburg fuhr, hatte ich gar nicht mehr das Bedürfnis, mir ein konkretes Angebot aus Dortmund anzuhören. Ich habe zu meinem Berater gesagt: Mein Bauchgefühl sagt mir , dass das hier der richtige Verein ist. Der Manager war top, der Trainer hat mir seine Vorstellungen klar genannt, die Fans sind toll und es ist ein Malocherverein. 

 

SCHALKE UNSER:

Sieben Jahre warst du dann auf Schalke. Wie können wir uns den Teamzusammenhalt damals vorstellen?

 

SVEN KMETSCH:

Ich würde nicht sagen, dass man mit jedem Freund sein muss. Man hätte sich damals innerhalb der Mannschaft vielleicht nicht einzeln auf ein Bier getroffen, aber jeden Dienstag haben wir uns abends zum Stammtisch zusammengesetzt. Da saß man gemütlich, trank ein Bierchen und guckte manchmal Fußball. Meistens waren zwischen 13 und 15 Spieler da. Klar gab es manche, die grad frisch Vater geworden waren. Da lagen die Prioritäten anders. Aber dieses Zusammengehörigkeitsgefühl war super. Man sprach nicht nur über Fußball, sondern auch über alle anderen Themen. Manche Sachen wurden dann eben auch ohne Trainer und Manager unter uns besprochen. Das war in meiner Dresdner Zeit übrigens auch schon so. Aber auf Schalke waren viele echte Typen dabei: Frank Rost, am Anfang noch Johan de Kock, Olaf Thon, Andreas Müller und später ja auch Andreas Möller. Bei dem haben wir uns als Mannschaft, als er kam gedacht: „Och nö. Einer von denen. Um Gottes willen.”

 

SCHALKE UNSER:

Das haben die Fans damals ja auch nicht so gut aufgefasst.

 

SVEN KMETSCH:

Ja. Wir hatten ebenso Vorurteile. Und dann hatte ich auch noch ein persönliches Problem mit seinem Transfer. Ich wollte gerne die Rückennummer sieben haben. Die hatte ich schon in Dresden. Als ich zu Schalke kam, hatte die aber Michael Goossens. Der ging dann im Winter nach Belgien und ich habe unseren Zeugwart, Enrico Heil, gefragt: „Kann ich die jetzt nicht haben?” Da sagt der: „Kannste nicht kriegen, weil Andreas Möller die bekommt.” Ich verstand Andreas Müller und sagte: „Der spielt doch gar nicht mehr.” Daraufhin habe ich dann vom Zeugwart erzählt bekommen, dass Andi Möller zu uns wechselt. Ein Feindbild für mich. Einerseits wegen der Nummer, andererseits natürlich auch ein Konkurrent auf meiner Position im Mittelfeld, wenn auch etwas offensiver ausgerichtet. Dann bin ich aber super mit ihm zurechtgekommen. Er war ein toller Mitspieler und auch ein klasse Typ. Ich habe mir am Ende sogar ein Trikot mit persönlicher Widmung von ihm geholt.

 

SCHALKE UNSER:

Zu Beginn deiner Zeit auf Schalke hast du dem SCHALKE UNSER bereits ein Interview gegeben. Vor 25 Jahren hast du uns erzählt, dass du Einsicht in deine Stasi-Akte ohne Erfolg beantragt hast. Hat sich in der Zwischenzeit etwas getan?

 

SVEN KMETSCH:

Ich habe die Akte bekommen, aber viele Namen waren darin geschwärzt. Der Deckname von Spitzeln steht dann da, etwa „Rose” oder „Tisch”. Um die richtigen Namen zu erfahren, habe ich einen weiteren Antrag gestellt. Die Namen habe ich bis heute nicht bekommen. Aber die Stasi-Akte liegt in meinem Keller. Manchmal gucke ich noch rein. Das ist Wahnsinn, wie es damals auch anderen Leuten gegangen ist. Ohnehin das System in der DDR, auch im Fußball: Da wurde man dann zu anderen Vereinen delegiert und sowas. Unterm Strich war man aber gewissermaßen privilegiert. 

 

SCHALKE UNSER:

Welche Privilegien gab es?

 

SVEN KMETSCH:

Zum Beispiel konnte man internationale Turniere spielen. Da spielte man dann im sozialistischen Ausland: Ungarn, Tschechien und so weiter.  Dazu kommen aber auch Spiele im kapitalistischen Ausland. Da wurde man aber vorher komplett von der Stasi durchleuchtet.

 

Ich hatte eine Einladung zu einem Turnier in Saint-Malo. Ich sollte dafür einen Reisepass erhalten, aber laut offizieller Begründung waren meine Unterlagen zu spät angekommen. Hinterher stellte sich heraus, dass ein entfernter Verwandter meines Vaters in Frankreich lebte. Also wollte die Stasi zuerst alle Verhältnisse aufklären. Die besuchten meinen Vater sogar in seinem Betrieb. Die Ermittlung dauerte aber so lange, dass es mit dem Turnier in Saint-Malo nicht mehr klappte. Zumindest durfte ich ein paar Jahre später zu Turnieren reisen.

 

SCHALKE UNSER:

Auch die Jugendarbeit in der DDR wurde vom Staat streng überwacht. Trotzdem gibt es Befürworter der fachlichen sportlichen Ausbildung. Du kennst auch als Trainer die Knappenschmiede. Wie siehst du das im Vergleich?

 

SVEN KMETSCH:

Ich bin nun ja auch länger aus der Knappenschmiede heraus. Aber ich meine, dass sich die Jugendarbeit immer mehr daran angepasst hat, wie es früher bei uns war. Zum Beispiel Jugendinternate für Spieler, die aus größerer Entfernung kommen, oder die schulische Begleitung. Das sind Parallelen. Ich weiß nicht genau, wie es heute mit der Schule und Jugendspielern läuft. Damals wurde ich in kleinen Gruppen gezielt unterrichtet, damit trotz Training kein Unterricht verloren ging. Und zu schlechte Noten bedeuten auch, dass das Training zurückstehen musste. Das war hart. Aber es hat sich ausgezahlt. Hätte ich als Junge heute nochmal die Möglichkeit, dann würde ich das wieder so durchlaufen. 

 

SCHALKE UNSER:

Neben der Jugendarbeit hast du auch als Co-Trainer für Benno Möhlmann gearbeitet. Derzeit bist du Übungsleiter beim SV Lippramsdorf. Planst du eine Rückkehr zum Profigeschäft?

 

SVEN KMETSCH:

Ich glaube, dass Planen in diesem Bereich schwierig ist. Als Benno Möhlmann nach der Zeit bei Preußen Münster aufgehört hat, war mir klar, dass es schwierig ist. Heute bringen die Trainer meistens ihren Staff mit. Ich hatte geliebäugelt, dass ich vielleicht über eine Connection irgendwo reinrutsche. Aber je länger ich raus war, desto klarer wurde mir, dass es schwierig wird. Ich hatte mir selbst das Ziel gestellt: Wenn in vier Jahren nichts kommt, dann ist es so. Irgendwann wurde ich hier gefragt und ich fand es gut. Nur verschwindet man mit so einem Job aus dem Blickfeld des Profifußballs. Aber ich mache es seit zwei Jahren und bin damit zufrieden. Es macht hier unheimlich viel Spaß.

 

SCHALKE UNSER:

Wie sieht die Arbeit in so einem kleineren Verein aus?

 

SVEN KMETSCH:

Ich musste mich umstellen. Hier ist Amateursport: Urlaub, Geburtstag Opa, Geburtstag Oma und Geburtstag Hund kommen dazwischen. Die Jungs sind alle tough. Es sieht derzeit sportlich sehr schlecht aus. Wir kämpfen mit allem, was wir haben, darum, die Liga zu halten. 

 

SCHALKE UNSER:

Warum sollte man als Zuschauer trotzdem vorbeischauen?

 

SVEN KMETSCH:

Hier wird ehrlicher Fußball gespielt. Die Jungs geben alles. Die sind die ganze Woche arbeiten oder studieren, haben teilweise zuhause Frau und Kind, aber kommen hierher, weil sie den Sport lieben. Lippramsdorf ist eh ein sportbegeistertes Dorf. Der Verein hat mehr als 800 Mitglieder und wächst – obwohl der Trend bei Sportvereinen seit Corona eigentlich ein anderer ist. Die Leute kommen gerne hierher. Das Bier schmeckt, die Wurst auch. Der Sportplatz ist ein sozialer Anlaufpunkt. Da sprechen die Zuschauer auch über mehr als nur den Sport an sich. Klar ist es im Moment schlecht, aber trotzdem wird die Ehrlichkeit auf dem Platz anerkannt.